Eine Woche in der Fahrradstadt Utrecht, NL – Utrecht fietst!
Utrecht hat sich vor 10 Jahren auf den Weg gemacht, Fahrradstadt zu werden. Ausgerechnet von einem deutschen Planer sollte die Innenstadt nach dem Krieg als Autostadt geplant werden und es wurden bspw. Grachten trocken gelegt und für Autos befahrbar gemacht, wogegen sich die Utrechter:innen erfolgreich wehrten. Heute ist die Entwicklung umgedreht: Bis 2050 soll die Innenstadt autofrei sein, es wurde viel in sinnige Radinfrastruktur investiert und Utrecht hat sich – einem eigens dafür erstellten Plan entsprechend – zu einer Welt-Fahrradstadt entwickelt:
Dazu gehört auch das weltweit größte Fahrradparkhaus am Bahnhof Utrechts:

Unsere Nichte, die in Utrecht Umweltwissenschaften studiert hat, erzählte uns, dass in jedem neuen Wohngebiet Infrastruktur für E-Bikes, Carsharing, Nahverkehr mit gedacht werden muss. Alle Angebote sollen an das bereits hollandweit bestehende Chip-Kartensystem für öffentlichen Nahverkehr digital angeschlossen werden und so buch- und bezahlbar sein. Und neue Wohngebiete entstehen in NL auf Grund des Platzmangels oft notgedrungen durch Kreislaufwirtschaft: Erst muss was Altes abgerissen werden, damit Neues entstehen kann.
Für die Radinfrastruktur innerstädtisch war in Utrecht entscheidend, das sie konsequent von Autos getrennt eingerichtet wurde, und so auch vulnerablen Gruppen im Straßenverkehr (Kinder,Alte, Beeinträchtigte) ein sicheres Radfahren zu ermöglichen. Das führte bspw. dazu, dass stillgelegte Bahntrassen zu Radwegen umfunktioniert wurden:

Es gibt eine App, die sich Radelnde herunterladen können und die beim Anfahren von Ampelanlagen für Grünphasen der Ampeln sorgt.
In Utrecht gibt es Räder mit einem blauen Vorderrad: Diese Räder sind geliehen. Das Rad wird für einen monatlichen Betrag gemietet und mit den Mietgebühren auch in Stand gehalten, d.h. anfallende Reparaturen sind in der Miete enthalten. Gemietet werden können alle möglichen Fahrradtypen, von luxuriös bis einfach, von Muskelbike bis E-Bike und Lastenrad. In Utrecht stehen und fahren auffällig viele Mieträder herum.
Wir sind von unserem Campingplatz 10 km entfernt jeden Tag nach Utrecht geradelt. Außerorts wird sich die Straße selbstverständlich zwischen Autos und Radfahrer:innen geteilt. Die Geschwindigkeit ist für PKWS reduziert. Kein:e Radfahrer:in wird weg gehupt, es ist eher so, dass bspw. LKWs hinter den Rädern herzockeln, bis diese Platz machen können und den LKW vorbei lassen, wofür sich die LKW-Fahrer:innen winkend und lachend bedanken. Kein Scherz!

Auf dem Weg in die Stadt kann dann auch noch an leckeren Obstautomaten mit frischen regionalen Erdbeeren und Birnensaft gerastet und gefrühstückt werden:

Andere niederländische Städte sind meiner Wahrnehmung nach was die Fahrradinfrastruktur betrifft gar nicht so weit entfernt von Utrecht.
Wichtige Unterschiede zu D sind:
– Viele Fahrradwege haben keine oder wenige Berührungspunkte zum PKW Verkehr
– Fußgänger:innen und Radfahrer:innen sind räumlich voneinander getrennt
– Fahrräder haben weitestgehend grüne Welle, was eine Entscheidung der Steuerung der Priorität für Radverkehr in den elektronisch gesteuerten Ampelanlagen voraussetzt
– Radwege sind so breit angelegt, dass in beiden Richtungen jeweils zwei Fahrräder nebeneinander passen – und das oft sogar an beiden Seiten der Straße
– Bodenbelag ist in guter Qualität
– Überall viele Fahrradständer und bewachte Fahrradparkplätze (oft gratis)
Dadurch kann der/die Radfaher:in einfach flott durchfahren ohne die in D üblichen ständigen Unterbrechungen, und per Rad ist die Radfahrer:in schneller von A nach B gefahren als per motorisiertem Individualverkehr.
Verantwortlich dafür, dass das alles in NL so gut für Radfahrer:innen klappt ist eine andere Verkehrshierarchie als in Deutschland, die übrigens in Großbritannien auch dahingehend aktuell geändert wurde: Nicht die Autos haben im Verkehr Vorrang (Achtung: Es geht nicht um Vorfahrt!) sondern Radfahrer:innen und Fußgänger:innen.
Zur Diskussion in Deutschland ( Stichwort: Mobilitätsgesetz) ein podcast hr2 Der Tag „Wem gehört die Straße“
https://www.hr2.de/podcasts/der-tag/wem-gehoert-die-strasse,podcast-episode-98146.html
vom 10.02.2022
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